„Häuser des Jahres“ oder: Was eine Jury alles bedenken muss

Die Einladungen zur Preisverleihung für die „Häuser des Jahres“ am 5. Oktober im Deutschen Achtekturmuseum in Frankfurt sind verschickt. Unser Juror Dipl.-Ing. Reimund Stewen, VPB-Vorstandsmitglied und Leiter des VPB-Regionalbüros Köln  erinnert sich in diesem Blog an die Jurysitzung:

Am 27.02.2018 ist ganz München verschneit und kalt. Am Frühstückstisch des Design Hotels Stadt Rosenheim am Münchner Ostbahnhof

treffe ich auf drei Personen, die wie ich Mitglied der Jury des Einfamilienhauswettbewerbs „Häuser des Jahres 2018“ des Callwey Verlages sind – nämlich Peter Cachola Schmal, Direktor des Frankfurter Architekturmuseums, Professor Verena von Beckerath, die in Weimar „Entwerfen und Wohnungsbau“ lehrt und Barbara Holzer vom Züricher Büro Holzer Kobler Architekten. Sie ist die Vorjahressiegerin, die mit einem Town-House in Zürich den ersten Preis 2017 abräumte.

Gemeinsam fahren wir in den Verlag, wo wir von Verena Jaumann, der zuständigen Verlagsredakteurin und ihren Mitarbeiterinnen empfangen werden. Der Chefredakteur des „Baumeister“, Alexander Gutzmer, heißt uns willkommen. Die weiteren Jurymitglieder, Ulrich Nolting als Materialexperte vom Informationszentrum Beton, Architekturjournalistin Katharina Matzig und „Baumeister“-Redakteur Alexander Russ sind schon anwesend.

Es ist 9 Uhr und kann losgehen. Im großen Saal im Untergeschoss mit Tageslicht-Suggestion als Gesamtkunstwerk warten auf u-förmig angeordneten Tischen (fast wie in der Grundschule) 100 Häuser auf DIN A4 Format aus 181 Einsendungen fein säuberlich vorsortiert auf unsere Begutachtung.

Der Juryvorsitzende Peter Cachola Schmal erklärt uns die Vorgehensweise: Wir sollen uns gewissenhaft einen Überblick verschaffen und eine subjektive Auswahl treffen. Ziel ist es, die 100 Vorlagenmappen auf 50 zu reduzieren, die dann in die jährliche Publikation des Wettbewerbs aufgenommen werden.

Alle Jurymitglieder schwärmen aus, jeder an einer anderen Stelle, um sich der Bilderflut zu stellen. Die konzentrierte Stille wird durch Kurzkommentare oder Ausrufe des Frohlockens ob der anspruchsvollen Architektur unterbrochen.

Es ist ungeheuer anstrengend, hier persönliche Kriterien zu entwickeln. Die Vielfalt zerrt an den Einordnungskriterien: Sie reicht von einer klassisch ruralen minimalistischen Ferienhausarchitektur über eine brückenartige Wohnbebauung hin zu einer Supervilla mit Garageneinfahrt als Haupteingang mit Verglasung zum Treppenhaus – wo dem Fetisch Auto ein gebührender, auch visueller Platz eingeräumt wird.

Jeder Beitrag hat einen höchst individuellen Charakter. Der Versuch, diese gegenseitig abzuwägen, scheitert. Die Juroren ringen um Fairness. Nach einem gerüttelt Maß an visueller Überforderung ist die erste Runde beendet, und die Jury versucht gemeinsam, sich auf die 50 Favoriten zu einigen. Diverse nuancierte Plädoyers zeigen dabei, wie ähnlich einzelne Objekteinschätzungen doch sind. Die Mittagspause bringt Entspannung für Magen und Gehirn, es wird gelüftet, getrunken und gegessen.

In der nächsten Runde gilt es nun, aus den 50 Favoriten die Preisträger herauszufiltern. Zum Schluss vergeben wir vier Anerkennungen, drei Auszeichnungen und einen ersten Preis. Jedes Jurymitglied versucht im Anschluss, aus der Menge seinen persönlichen Favoriten zu definieren. Das scheint zunächst unmöglich, weil man ja alle schon einmal ausgewählt hat, gelingt dann aber doch mit Selbstdisziplin.

Anschließend werden die Listen abgeglichen und Pro und Kontra einzelner Entwürfe diskutiert. Die Argumente werden seziert und zugeordnet. Die Favoriten werden auf den Tischen „Anerkennungen“ und „Auszeichnungen“ gesammelt.

Parallel läuft die Suche nach dem 1. Preis. Diverse Objekte werden noch einmal umrundet, es wird gerüttelt und geschüttelt und am Konsens der Jury gearbeitet. Dann geht alles schnell: Bang – steht die Entscheidung – der Gewinner ist nominiert. Es ist geschafft. Die Anspannung ebbt ab und die Jury freut sich über den erfolgreichen Sitzungstag gemeinsam mit Dr. Marcella Prior-Callwey und Alexander Hagenkord vom Verlag Callwey, die dazukommen, um auf die Nominierten anzustoßen und der Jury zu danken. Die Jurymitglieder treten die Heimreise an. So geht ein spannender, auch anstrengender Tag zu Ende.

Am Ende ein fachliches Fazit: Zwar gilt das Einfamilienhaus städtebaulich inzwischen als fragwürdig, trotzdem lebt es und erfreut sich größter Beliebtheit bei den Bauherren. Wenn es gut geplant ist, kann es auch städtebaulich gut eingepasst werden. Scheinbar mehren sich die Gestaltungsmöglichkeiten, das Thema wird kreativer. Auch ein leichter Hang zum vergangenen Bauhausansatz war in seiner streng kubischen Architektur mehrfach vertreten (2019 feiert das Bauhaus sein 100-jähriges Jubiläum). Eine neue Architekturstilentwicklung war jedoch nicht auszumachen.

 

Quelle Bilder: Scharnigg/Matzig, Häuser des Jahres 2018, Callwey